Eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung ist ohne ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt

Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können.

Sachverhalt

Zwei Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und seit geraumer Zeit ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.

Am 24. Mai 2019 fand auf Initiative der Klägerin ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Mit Schreiben vom selben Tag lud die Beklagte die Klägerin zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) ein. Die Klägerin teilte mit, dass sie an einem bEM teilnehmen wolle, sie unterzeichnete aber die ihr diesbezüglich von der Beklagten übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. Hierauf erhielt die Klägerin eine Einladung zu einem Gespräch. In diesem wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass ohne ihre Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein bEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. In der Folgezeit wies die Beklagte die Klägerin mehrfach darauf hin, dass die Durchführung eines bEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich sei. In der Zeit vom 17. September 2019 bis zum 29. Oktober 2019 war die Klägerin bei der Beklagten im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig.

Die Beklagte beantragte am 10. Dezember 2019 beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin, die der Beklagten mit Bescheid vom 18. Mai 2020 erteilt wurde.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 2020.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt und geltend gemacht, die Kündigung sei mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Eine negative Zukunftsprognose habe ebenso wenig vorgelegen wie eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Darüber hinaus hätten mildere Mittel zur Verfügung gestanden. Durch einen Einsatz in einem Einzelbüro oder alternativ die Bereitstellung eines sog. Active-Noise-cancelling-Headsets hätte z. B. ihre Konzentrationsfähigkeit erheblich gesteigert sowie die Belastung und der Stress durch Tinnitus gesenkt werden können.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Kündigung sei aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die lang andauernde Erkrankung verbunden mit einer Stellungnahme der behandelnden Ärztin begründe die negative Prognose, dass es sich um eine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung handele. Das Arbeitsverhältnis habe seit Jahren nur noch als sinnentleerte Hülle bestanden. Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern werde, weshalb ihr ein Festhalten hieran unzumutbar sei. Der Klägerin könne kein ihrem Gesundheitszustand entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen werden.

Die fehlende Bereitschaft der Klägerin, die datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, stehe einer fehlenden Zustimmung zur Durchführung eines bEM gleich. Eine Veranlassung, vor Ausspruch der Kündigung einen weiteren Versuch der Durchführung eines bEM zu unternehmen, habe daher nicht bestanden. Ein milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung sei nicht ersichtlich, was auch aufgrund der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung zu vermuten sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung stattgegeben. Mit ihrer Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Aus den Entscheidungsgründen

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung sei unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden.

Eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung ist nicht i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - seinem Gesundheitszustand entsprechenden - Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend erkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern.

Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

Hat der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei oder bei der weiteren Durchführung aber Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Das kann der Fall sein, wenn dieser gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hat, was regelmäßig einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung bedarf. Anderenfalls spricht der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nicht zu seiner (weiteren) Durchführung bereit ist, grundsätzlich dagegen, dass durch ein bEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können. Angesichts der unterschiedlichen sozial- und kündigungsrechtlichen Bedeutung des bEM haben jedenfalls nicht alle Verfahrensfehler bei seiner Durchführung Bedeutung für eine später ausgesprochene Kündigung.

Danach hat der Beklagten die Darlegung oblegen, dass auch mit Hilfe eines bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Sie war nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, der seit dem 12. Dezember 2014 durchgehend arbeitsunfähig erkrankten Klägerin ein bEM anzubieten. Dieser Verpflichtung ist sie nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die Beklagte durfte die Einleitung des bEM-Verfahrens nicht davon abhängig machen, dass die Klägerin die von der Beklagten vorformulierte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichnet.

§ 167 Abs. 2 SGB IX sieht die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines bEM erhobenen personenbezogenen und Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines bEM vor. Nach § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX sind die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter lediglich zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die vorherige Unterzeichnung einer Einwilligung in die Verarbeitung von personenbezogenen und Gesundheitsdaten sieht § 167 Abs. 2 SGB IX nicht vor. Dessen Satz 4 regelt nur aus Transparenzgründen eine Hinweispflicht über Art und Umfang der im konkreten bEM zu verarbeitenden Daten.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung ein bEM mit der Klägerin durchführen müssen. Die Beklagte hat die ihr nach § 167 Abs. 2 SGB IX obliegende Verpflichtung jedoch nicht erfüllt. Die Parteien haben anlässlich ihres Gesprächs am 24. Juli 2019 kein bEM im Sinne eines verlaufs- und ergebnisoffenen „Suchprozesses“ durchgeführt. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Klägerin ein bEM nicht abgelehnt. Sie hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem bEM erklärt. Vielmehr war es die Beklagte, die die Durchführung eines bEM entgegen den in § 167 Abs. 2 SGB IX enthaltenen Vorgaben von der Unterzeichnung der von ihr vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig gemacht und keine Bereitschaft gezeigt hat, den Klärungsprozess ohne das schriftliche Einverständnis der Klägerin in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen und Gesundheitsdaten fortzusetzen. Ein rechtfertigender Grund, von der Einleitung eines bEM abzusehen, lag selbst unter Beachtung des Normzwecks des § 167 Abs. 2 SGB IX nicht vor. Es war der Beklagten auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten bEM zu beginnen. Sie konnte mit der Klägerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen, die offenbar bei der Klägerin bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Die Beklagte musste – da es sich beim bEM um ein konsensuales Verfahren handelt – die diesbezüglichen Vorstellungen der Klägerin zur Kenntnis nehmen und diese soweit wie möglich bei dem weiteren Verfahrensablauf berücksichtigen. Daneben hätten die Parteien den Kreis der am Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX mitwirkenden Stellen und Personen festlegen können. Erst in einem weiteren Termin wären dann mit den Verfahrensbeteiligten die in Betracht kommenden Möglichkeiten zu erörtern gewesen, ob und ggf. auf welche Weise die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin reduziert werden können. In diesem Zusammenhang wäre von ihnen auch darüber zu befinden gewesen, ob und ggf. welche Angaben über den Gesundheitszustand hierfür voraussichtlich erforderlich sind und auf welche Weise etwaige Gesundheitsdaten rechtskonform zu erheben und verarbeiten sind. Nur wenn die Klägerin nicht bereit gewesen wäre, an dem weiteren Klärungsprozess beispielsweise durch die Vorlage der dafür möglicherweise – je nach Lage des Einzelfalls – erforderlichen Diagnosen und Arztberichte konstruktiv mitzuwirken, hätte die Beklagte zur Verfahrensbeendigung berechtigt sein können, ohne dass sie bei einer nachfolgenden Kündigung verfahrensrechtliche Nachteile zu gewärtigen gehabt hätte. Der Abbruch des bEM wäre dann „kündigungsneutral“.

Das Landesarbeitsgericht hat zudem zu Recht angenommen, der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts vom 18. Mai 2020 begründe keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können.

Fundstelle: Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 2022, 2 AZR 162/22 – abrufbar im Internet beispielsweise unter https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2023/04/2-AZR-162-22.pdf