Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Rahmen einer Observation

Lässt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit durch eine Detektei überwachen und dokumentiert diese dabei den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers, handelt es sich um die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der DSGVO.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen dessen von der Beklagten veranlassten Überwachung durch Privatdetektive.

Der Kläger war zunächst bei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten und dann bei dieser in verschiedenen Positionen im Vertrieb beschäftigt. Er war im Außendienst tätig und arbeitete im Übrigen im Homeoffice. Im Jahr 2017 wollte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung beenden, die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte jedoch Erfolg. Die Beklagte bot dem Kläger dann eine Stelle als Account Manager für die Region Süd an und lud ihn zu einem Gespräch ein. Dieses Gespräch sagte der Kläger unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen. Das Arbeitsgericht B stellte rechtskräftig fest, dass auch diese Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

Daraufhin erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung. Dem Kläger wurde in diesem Rahmen angeboten, das Arbeitsverhältnis auf der Position des Account Managers für die Region Süd fortzusetzen.

Die Beklagte forderte den Kläger auf, die Tätigkeit als Account Manager ab dem 1. Dezember 2021 aufzunehmen. Mit E-Mail vom 30. November 2021 entschuldigte sich der Kläger aus gesundheitlichen Gründen und stornierte ein kurz zuvor gebuchtes Hotelzimmer.

Die tatsächliche Arbeitsaufnahme erfolgte am 10. Januar 2022. In der Folgezeit kam es zu Differenzen zwischen den Parteien darüber, ob die dem Kläger übertragenen Aufgaben vertragsgemäß waren. Am 3. Februar 2022 fand eine ergebnislose Auseinandersetzung des Klägers mit der Geschäftsführung der Beklagten hinsichtlich der Frage, welche Tätigkeiten er in den vorherigen Wochen verrichtet habe, statt. Daraufhin klagte der Kläger gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht M auf vertragsgemäße Beschäftigung. Er werde mit minderwertigen, nicht dem Änderungsangebot entsprechenden Aufgaben und Zuständigkeiten beschäftigt.

Außerdem teilte der privat krankenversicherte Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten seine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer „außerhalb der Arbeitszeit“ erlittenen Verletzung mit. Die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag erstreckt sich auf die Zeit bis zum 18. Februar 2022. Sie wurde von einer Fachärztin eines medizinischen Versorgungszentrums in B ausgestellt. Mit E-Mail vom 18. Februar 2022 übersandte der Kläger eine Folgebescheinigung, die weiterhin Arbeitsunfähigkeit bis zum 4. März 2022 attestiert.

Die Beklagte ließ den Kläger wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 25. Februar 2022 bis zum 4. März 2022 durch eine Detektei zumindest stichprobenartig überwachen. Im Zuge der Observation wurde auch die Hausarztpraxis des Klägers und das Wohnhaus seiner ehemaligen Lebensgefährtin aufgesucht. Die von der Detektei festgestellten Sachverhalte wurden dem Arbeitgeber mitgeteilt.

Infolgedessen hörte die Beklagte den Kläger zum Vorwurf der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit an. Der Kläger gab an, die beobachteten Tätigkeiten hätten den Genesungsprozess nicht behindert.

Mit Schriftsatz vom 31. August 2022 hat der Kläger die Zahlung eines „Schmerzensgeldes“ iHv. mindestens 25.000,00 Euro geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn unter Verstoß gegen die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung im besagten Zeitraum durch Detektive überwachen lassen. Es habe kein hinreichender Anlass für ein solches Vorgehen bestanden. Die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien ordnungsgemäß erstellt worden, nachdem er auf der Treppe zu seinem Wohnhaus gestolpert sei und sich dabei verletzt habe. Bei Klärungsbedarf hätte man ihn anhören können. Die Überwachung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in seine Privatsphäre dar, weil die Detektive ihn nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Eingangsbereich seines Hauses und auf seiner Terrasse beobachtet hätten. Dies wecke bei ihm die Sorge vor weiteren Beeinträchtigungen seiner Privatsphäre. Zudem hätten die Detektive ohne Bezug zur Arbeitsunfähigkeit seine ehemalige Lebensgefährtin und die nicht beteiligte Hausarztpraxis in ihre Observation einbezogen. Er habe daher einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens. Die Beklagte habe eine Kündigung vorbereiten wollen. Der geforderte Schadenersatz belaufe sich nur auf ungefähr ein Zehntel der angestrebten Personalkosteneinsparung.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Die Ermittlungen seien zulässig gewesen. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Observation des Klägers gehabt, weil objektive Tatsachen den Verdacht begründet hätten, dass er die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Anlass für den Verdacht sei die am 4. Februar 2022 in B ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ihr Beweiswert sei erschüttert. Der Kläger habe sich nach den geltenden vertraglichen Regelungen in O und nicht in B aufhalten müssen. Hiervon sei man ausgegangen. Bei einer Verletzung am Freitag in O wäre die Rückfahrt nach B zu einer ärztlichen Untersuchung mit einer Länge von über 600 km unmöglich gewesen. Ein milderes Mittel zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit habe nicht bestanden. Der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenkasse habe nicht eingeschaltet werden können, weil der Kläger privat versichert sei. Die Verdachtsmomente würden zudem dadurch verstärkt, dass der Kläger sich bereits früher in Arbeitsunfähigkeit geflüchtet habe. Die Überwachungsmaßnahmen hätten sich auf die Beobachtung des Klägers im öffentlichen bzw. frei einsehbaren Raum und auf vier Tage in der Woche beschränkt. Schließlich habe der Detektivbericht ergeben, dass der Kläger nicht arbeitsunfähig gewesen sei.

Es fehle zudem am Nachweis eines Schadens des Klägers. Jedenfalls sei die Höhe des geltend gemachten Anspruchs von mindestens 25.000,00 Euro unangemessen hoch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage bezogen auf den Schmerzensgeldantrag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht gestützt auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO die Beklagte zur Zahlung einer „Entschädigung“ iHv. 1.500,00 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO als „Entschädigung“ weitere 23.500,00 Euro nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Zurückweisung der Berufung des Klägers.

Aus den Entscheidungsgründen

Der nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorausgesetzte Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung liegt vor. Die Beklagte hat als Verantwortliche im Rahmen der Observation ohne Einwilligung des Klägers dessen Gesundheitsdaten verarbeitet. Dies war nicht erforderlich iSv. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3 BDSG.

Nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist u.a. die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich verboten. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO lässt dieses Verbot - soweit hier von Interesse - entfallen, falls die Verarbeitung erforderlich ist, damit der Verantwortliche die ihm „aus dem Arbeitsrecht … erwachsenden Rechte“ ausüben kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist.

Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG ist abweichend von Art. 9 Abs. 1 DSGVO die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten iSd. Art. 9 Abs. 1 DSGVO für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten u.a. aus dem Arbeitsrecht erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Entsprechend sind hierfür angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person vorzusehen (§ 26 Abs. 3 Satz 3 BDSG). Die entsprechende Geltungsanordnung von § 22 Abs. 2 BDSG stellt den Schutz der Grundrechte und die Wahrung der Interessen der Betroffenen sicher. Danach sind bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person vorzusehen.

Mit diesen Regelungen hat der deutsche Gesetzgeber in zulässiger Weise von der Öffnungsklausel in Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO Gebrauch gemacht. Durch das Kriterium der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG ist sichergestellt, dass ein an sich legitimes Ziel nicht zum Anlass genommen wird, überschießend personenbezogene Daten iSv. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu verarbeiten. Bei einer auf Beschäftigtendaten bezogenen datenverarbeitenden Maßnahme des Arbeitgebers bedingt dies ausweislich der Gesetzesmaterialien eine Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen im Weg praktischer Konkordanz und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Interessen der betroffenen Person werden ergänzend durch § 26 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 22 Abs. 2 BDSG geschützt.

Vorliegend handelt es sich wegen der Dokumentation des sichtbaren Gesundheitszustands des Klägers, insbesondere seines Gangs, zum Teil um Gesundheitsdaten iSv. Art. 9 Abs. 1 iVm. Art. 4 Nr. 15 DSGVO. Demzufolge ist die Zulässigkeit der Datenverarbeitung insgesamt nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BDSG zu beurteilen. Zudem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) die Grundsätze für die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO und Art. 5 Abs. 1 DSGVO zu wahren. Auch Art. 32 Abs. 1 DSGVO, der entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. f DSGVO die Sicherheitsanforderungen an die Datenverarbeitung regelt, findet Anwendung.

Hegt der Arbeitgeber Zweifel am Vorliegen einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und möchte er den Arbeitnehmer deshalb durch Detektive oder andere Personen beobachten lassen, kann die daraus folgende Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BDSG nur zulässig sein, wenn der Beweiswert einer vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V nicht möglich ist oder objektiv keine Klärung erwarten lässt. Anderenfalls ist die Ermittlung als Datenverarbeitung nicht erforderlich iSv. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG und stellt damit einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar.

Der Kläger hat durch die rechtswidrige Observation einen immateriellen Schaden iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO erlitten. Der Schadenersatzanspruch hat, insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens, eine Ausgleichsfunktion. Die auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO gestützte Entschädigung in Geld soll es ermöglichen, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erlittenen Schaden vollständig auszugleichen, und erfüllt keine Abschreckungs- oder Straffunktion.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Schaden liege hier entsprechend dem Vortrag des Klägers in dem durch die Überwachung erlittenen Kontrollverlust und insbesondere im Verlust der Sicherheit vor Beobachtung im privaten Umfeld. Dieser Vortrag ist nicht unsubstantiiert, sondern steht in Bezug zu einer mehrtägigen Überwachung, die eine heimliche Beobachtung und Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers umfasste und ihn auch im Außenbereich seines Wohnhauses betraf. In einer solchen Konstellation sind der Verlust von Kontrolle und die daraus folgende Befürchtung weiterer Überwachung selbsterklärend und bedürfen keiner weiteren näheren Darlegung.

Der ausgeurteilte Betrag von insgesamt 1.500,00 Euro ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Ergebnis angemessen.

Fundstelle: Urteil des BAG vom 25. Juli 2024. 8 AZR 225/23 – abrufbar im Internet unter https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2024/11/8-AZR-225-23.pdf