Auch ein immaterieller Schaden kann zu einem Anspruch auf Schadenersatz führen
Ein Betroffener hat nach einem Urteil des EuGH bei einem Datenschutzverstoß grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz, auch wenn er keinen materiellen Schaden erlitten hat.
Ausgangsrechtsstreit
Der Kläger des Ausgangsverfahrens befand sich bei einer Privatbank in einem Bewerbungsprozess, der über ein Online-Karrierenetzwerk stattfand. Im Zuge dessen versandte eine Mitarbeiterin dieser Gesellschaft über den Messenger-Dienst des Netzwerks eine nur für den Kläger des Ausgangsverfahrens bestimmte Nachricht, in der sie ihn von der Ablehnung seiner Gehaltsvorstellungen in Kenntnis setzte und ihm eine andere Vergütung anbot, an eine dritte, nicht am Bewerbungsprozess beteiligte Person. Dieser Dritte, der zuvor mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens gearbeitet hatte und ihn deshalb kannte, leitete die Nachricht an den Kläger weiter und fragte, ob er auf Stellensuche sei.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens erhob Klage vor dem Landgericht Darmstadt, mit der er beantragte, die Privatbank zu verurteilen, zum einen jede Verarbeitung personenbezogener Daten über ihn, die im Zusammenhang mit seiner Bewerbung stehen, zu unterlassen, wenn dadurch die unbefugte Offenlegung dieser Daten infolge des Versendens der in Rede stehenden Nachricht wiederholt wird, und ihm zum anderen Schadensersatz für den immateriellen Schaden zu zahlen, der durch dieses Ereignis entstanden sei. Im Wesentlichen machte er geltend, dieser Schaden liege in seinen Sorgen, die dadurch entstanden seien, dass mindestens eine dritte Person, die ihn kenne und in der gleichen Branche tätig sei wie er, in die Lage versetzt worden sei, diese vertraulichen Daten an ehemalige oder potenzielle Arbeitgeber weiterzugeben, ihm gegenüber einen Vorteil in einer etwaigen Konkurrenzsituation bei einer Bewerbung zu haben und die von ihm beim Unterliegen in seinen Gehaltsverhandlungen empfundene Schmach wahrzunehmen.
Das erstinstanzliche Gericht verurteilte die Privatbank antragsgemäß zur Unterlassung und zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.000 Euro nebst Zinsen an den Kläger des Ausgangsverfahrens. Die Privatbank legte Berufung gegen dieses Urteil ein.
Das Oberlandesgericht Frankfurt änderte dieses Urteil teilweise ab. Es war der Auffassung, dem Kläger des Ausgangsverfahrens stehe gegen die Privatbank nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch auf Unterlassung der künftigen Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in einer mit der in Rede stehenden Nachricht vergleichbaren Form zu, und es bestehe insofern Wiederholungsgefahr. Den Antrag auf Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO wies es dagegen mit der Begründung ab, dass zwar durch die Übermittlung personenbezogener Daten an einen unbeteiligten Dritten gegen die Vorschriften zum Schutz solcher Daten verstoßen worden sei, dass aber der Kläger des Ausgangsverfahrens den Nachweis eines konkreten Schadens nicht erbracht habe und dass selbst bei Unterstellung einer von ihm erlebten Schmach diese nicht als immaterieller Schaden zu bewerten sei.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens und die Privatbank legten beim Bundesgerichtshof (BGH), dem vorlegenden Gericht, jeweils Revision gegen dieses Urteil ein. Vor diesem Gericht erhält Ersterer seine ursprünglichen Ansprüche aufrecht, während Letztere deren vollständige Abweisung begehrt.
Vorlagefragen
Der BGH beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. a) Ist Art. 17 DSGVO dahin gehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?
b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?
2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:
a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?
b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?
3. Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:
Ist Art. 84 in Verbindung mit Art. 79 DSGVO dahin gehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?
4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin gehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z. B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?
5. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin gehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt?
6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:
Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin gehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?
Auszüge aus dem Urteil des EuGH zu den Vorlagefragen
Zu den Fragen 1 bis 3
Mit seinen Fragen 1 bis 3, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Bestimmungen der DSGVO dahin auszulegen sind, dass sie zugunsten der von der unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Person für den Fall, dass diese Person nicht die Löschung ihrer Daten beantragt, einen gerichtlichen Rechtsbehelf vorsehen, der es ihr ermöglicht, präventiv zu erwirken, dass dem Verantwortlichen auferlegt wird, künftig eine erneute unrechtmäßige Verarbeitung zu unterlassen, und ob sie, sollte dies verneint werden, die Mitgliedstaaten daran hindern, einen solchen Rechtsbehelf in ihren jeweiligen Rechtsordnungen vorzusehen.
Auf die Fragen 1 bis 3 ist zu antworten, dass die Bestimmungen der DSGVO dahin auszulegen sind, dass sie zugunsten der von der unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Person für den Fall, dass diese Person nicht die Löschung ihrer Daten beantragt, keinen gerichtlichen Rechtsbehelf vorsehen, der es ihr ermöglicht, präventiv zu erwirken, dass dem Verantwortlichen auferlegt wird, künftig eine erneute unrechtmäßige Verarbeitung zu unterlassen. Allerdings hindern sie die Mitgliedstaaten nicht daran, einen solchen Rechtsbehelf in ihren jeweiligen Rechtsordnungen vorzusehen.
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass der Begriff „immaterieller Schaden“ in dieser Bestimmung negative Gefühle umfasst, die die betroffene Person infolge einer unbefugten Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten an einen Dritten empfindet, wie z. B. Sorge oder Ärger, und die durch einen Verlust der Kontrolle über diese Daten, ihre mögliche missbräuchliche Verwendung oder eine Rufschädigung hervorgerufen werden.
Darauf ist zu antworten, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass der Begriff „immaterieller Schaden“ in dieser Bestimmung negative Gefühle umfasst, die die betroffene Person infolge einer unbefugten Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten an einen Dritten empfindet, wie z. B. Sorge oder Ärger, und die durch einen Verlust der Kontrolle über diese Daten, ihre mögliche missbräuchliche Verwendung oder eine Rufschädigung hervorgerufen werden, sofern die betroffene Person nachweist, dass sie solche Gefühle samt ihrer negativen Folgen aufgrund des in Rede stehenden Verstoßes gegen die DSGVO empfindet.
Zur fünften Frage
Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, den Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bei der Bemessung der Höhe des nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO geschuldeten Ersatzes eines immateriellen Schadens zu berücksichtigen.
Auf diese Frage ist zu antworten, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bei der Bemessung der Höhe des nach dieser Bestimmung geschuldeten Ersatzes eines immateriellen Schadens berücksichtigt wird.
Zur sechsten Frage
Die sechste Frage wird für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof entweder einen der Teile der ersten Frage oder die dritte Frage bejaht, d. h., wenn im Wesentlichen davon auszugehen ist, dass die DSGVO unmittelbar nach ihren Bestimmungen oder durch die nach dieser Verordnung zulässige Anwendung nationaler Vorschriften einen Anspruch der betroffenen Person darauf anerkennt, dass der Verantwortliche künftig eine erneute Verletzung der personenbezogenen Daten unterlässt.
Auf die sechste Frage ist zu antworten, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass der Umstand, dass die betroffene Person nach dem anwendbaren nationalen Recht eine Anordnung – die dem Verantwortlichen entgegengehalten werden kann – erwirkt hat, die Wiederholung eines Verstoßes gegen diese Verordnung zu unterlassen, in der Form berücksichtigt wird, dass dadurch der Umfang der nach dieser Bestimmung geschuldeten finanziellen Entschädigung für einen immateriellen Schaden gemindert wird oder diese Entschädigung sogar ersetzt wird.
Aus diesen Gründen hat der EuGH für Recht erkannt:
1. Die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
sind dahin auszulegen, dass
sie zugunsten der von der unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Person für den Fall, dass diese Person nicht die Löschung ihrer Daten beantragt, keinen gerichtlichen Rechtsbehelf vorsehen, der es ihr ermöglicht, präventiv zu erwirken, dass dem Verantwortlichen auferlegt wird, künftig eine erneute unrechtmäßige Verarbeitung zu unterlassen. Allerdings hindern sie die Mitgliedstaaten nicht daran, einen solchen Rechtsbehelf in ihren jeweiligen Rechtsordnungen vorzusehen.
2. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
der Begriff „immaterieller Schaden“ in dieser Bestimmung negative Gefühle umfasst, die die betroffene Person infolge einer unbefugten Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten an einen Dritten empfindet, wie z. B. Sorge oder Ärger, und die durch einen Verlust der Kontrolle über diese Daten, ihre mögliche missbräuchliche Verwendung oder eine Rufschädigung hervorgerufen werden, sofern die betroffene Person nachweist, dass sie solche Gefühle samt ihrer negativen Folgen aufgrund des in Rede stehenden Verstoßes gegen diese Verordnung empfindet.
3. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
er dem entgegensteht, dass der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bei der Bemessung der Höhe des nach dieser Bestimmung geschuldeten Ersatzes eines immateriellen Schadens berücksichtigt wird.
4. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
er dem entgegensteht, dass der Umstand, dass die betroffene Person nach dem anwendbaren nationalen Recht eine Anordnung – die dem Verantwortlichen entgegengehalten werden kann – erwirkt hat, die Wiederholung eines Verstoßes gegen diese Verordnung zu unterlassen, in der Form berücksichtigt wird, dass dadurch der Umfang der nach dieser Bestimmung geschuldeten finanziellen Entschädigung für einen immateriellen Schaden gemindert wird oder diese Entschädigung sogar ersetzt wird.
Fundstelle: Urteil des EuGH vom 04.09.2025, Rechtssache C 655/23 – abrufbar im Internet unter https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=5D3153E34C4636214B4E2C6276AB6455?text=&docid=303866&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=10513725