Ein Einladungsschreiben zum betrieblichen Eingliederungsmanagement muss den Datenschutzanforderungen entsprechen

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist zulässig, wenn der Betroffene das BEM ablehnt. Allerdings darf das entsprechende Einladungsschreiben nicht gegen die Datenschutzvorschriften verstoßen.

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten in deren Betrieb als Produktionsfacharbeiter beschäftigt und fehlte mehrere Jahre hintereinander an ca. 40 Arbeitstagen jährlich aufgrund von Krankheiten.

Die Beklagte hat den Kläger zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) eingeladen. Auf diese Einladung reagierte der Kläger, wie auch schon auf vergangene Einladungen, nicht.

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus krankheitsbedingten Gründen. Der Betriebsrat wurde zur beabsichtigten Kündigung angehört.

Gegen die Kündigung reichte der Kläger eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein. Er meinte, ihm könne schon keine negative Gesundheitsprognose gestellt werden. Diverse Krankheitsbilder seien wegen Ausheilung nicht prognosefähig. Zudem rügte er die Ordnungsgemäßheit der bEM-Einleitung. Er behauptete hierbei, die im Einladungsschreiben benannten Anlagen (Antwortschreiben, Datenschutzunterrichtung und Liste der Mitglieder des Betriebliches Eingliederungsteams) nicht erhalten zu haben.

Er rügte zudem die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung. Er bestritt mit Nichtwissen, dass dem Betriebsrat als Anhang zum Anhörungsschreiben eine Fehlzeitenaufstellung vorgelegt worden sei.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dem Kläger müsse eine negative Gesundheitsprognose gestellt werden. Angesichts der Entgeltfortzahlungsbelastungen sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar.

Das bEM sei ordnungsgemäß eingeleitet worden. Die benannten Anlagen seien beigefügt gewesen.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die Fehlzeitenliste sei dem Betriebsrat ebenfalls vorgelegt worden.

Vorinstanz

Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die streitgegenständliche Kündigung aufgelöst wurde. Die Beklagte wurde zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Das Arbeitsgericht schloss einzelne Fehlzeiten aus der Prognosefähigkeit aus und kam zum Ergebnis, dass die weiterhin verbleibende geringfügige Überschreitung des Sechswochenzeitraumes von Arbeitsunfähigkeitszeiten pro Kalenderjahr nicht so gravierend sei, um eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers begründen zu können. Jedenfalls sei es nicht davon überzeugt, dass eine sich bereits anbahnende Abnahme der Fehlzeiten keine Fortsetzung finden könne.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein.

Aus den Entscheidungsgründen

I.   Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zumindest im Ergebnis zu Recht der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde nicht durch die streitgegenständliche Kündigung aufgelöst. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt i. S. d. § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

1.   Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus.

2.   Dem Kläger kann auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose gestellt werden.

3.   Diese Fehlzeiten führen bei der Beklagten auf der zweiten Stufe zu erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen. Die Beklagte hat ausgehend von dieser Prognose auch weiterhin mit deutlichen Entgeltfortzahlungsbelastungen zu rechnen, die über die zumutbare Sechswochengrenze hinausgehen. Es waren nämlich auch in der Vergangenheit sämtliche Fehlzeiten mit Entgeltfortzahlungsbelastungen belegt.

4.   Die Kündigung erweist sich jedoch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung auf der dritten Stufe als nicht sozial gerechtfertigt. Sie ist unverhältnismäßig. Die Beklagte hat nämlich trotz Notwendigkeit der Durchführung eines bEM ein solches nicht ordnungsgemäß eingeleitet.

a)   Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden.

b)   Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen. Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen. Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i. S. v. Art. 9 Abs. 1, 4 Nr. 15 DSGVO – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein.

c)   Bezogen auf den erforderlichen Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung ist noch Folgendes zu berücksichtigen:

Die Klärung von Möglichkeiten zur Beendigung gegenwärtiger und Vermeidung neuer Arbeitsunfähigkeiten sowie zum Erhalt des Arbeitsplatzes ist nur möglich, wenn die beteiligten Akteure im möglichen Umfang Informationen über die Ausgangssituation haben. Daher ist das Erfassen dieser Ausgangssituation denknotwendig Bestandteil eines bEM. Zu beachten ist dabei aber, dass berechtigte Interessen des Beschäftigten gegen eine umfassende Informationssammlung sprechen können. Nicht zuletzt, weil es in der Regel um besondere Kategorien personenbezogener Daten i. S. d. Art. 9 DSGVO, insbesondere Gesundheitsdaten nach Art. 4 Nr. 15 DSGVO geht, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers auch die Beachtung des Datenschutzes. Die Beachtung des Datenschutzes ist in § 167 Abs. 2 SGB IX zwar verklausuliert, aber dennoch ausdrücklich vorgeschrieben. Ihre Notwendigkeit ergibt sich zudem aus dem besonderen Spannungsfeld der in wesentlichen Teilen auch schon rechtlich geregelten Interessen, in dem das bEM notwendig angesiedelt ist. Dies sind insbesondere das Erkenntnisinteresse des Arbeitgebers an allen für die Leistungsfähigkeit des Beschäftigten relevanten Informationen und das Interesse des Beschäftigten am Erhalt seines Arbeitsplatzes auch bei gesundheitlicher Einschränkung. Auch ganz allgemein ist die Einhaltung datenschutzrechtlichen Anforderungen für eine vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit im Rahmen des bEM unerlässlich.

Bei der Organisation des Datenschutzes sind folgende Leitlinien einzuhalten. Der Arbeitgeber – und in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB I jede andere Person, die Personalentscheidungen treffen kann – darf ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen Zugang nur zu solchen Daten haben, die für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum bEM erforderlich sind oder ohne die er seine Zustimmung zu geplanten Maßnahmen etc. nicht erteilen kann. Diagnosen und ähnlich sensible Daten dürfen dem Arbeitgeber ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Betroffenen nicht zugänglich sein.

In Anwendung dieser Grundsätze kann nicht von einer ordnungsgemäßen Einleitung des bEM-Verfahrens ausgegangen werden.

Fundstelle: Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20 – abrufbar im Internet beispielsweise unter http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=36334