Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten

Nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 7. Mai 2019 (Az. 1 ABR 53/17) ist das Recht des Betriebsrats gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen, nicht auf anonymisierte Listen beschränkt.

Eine Arbeitgeberin und ihr Betriebsrat stritten über das Einblicksrecht in Bruttoentgeltlisten der Arbeitnehmer in elektronischer Form. Die Listen enthalten die Namen der Arbeitnehmer, deren Dienstart und Unterdienstart, Angaben zum Grundgehalt, zu verschiedenen Zulagen sowie zu beständigen und unbeständigen Bezügen. Anfang Februar 2017 gewährte die Arbeitgeberin Betriebsratsmitgliedern Einsicht in eine anonymisierte Fassung dieser Listen.

Der Betriebsrat hatte einen Einblick in die Bruttoentgeltlisten mit den Klarnamen der Arbeitnehmer verlangt. Nur so ließe sich feststellen, nach welchen Grundsätzen die Arbeitgeberin - insbesondere nach der Kündigung des einschlägigen Tarifvertrags - Sonderzahlungen oder Lohnerhöhungen gewähre; ggf. betreffe dies das betriebliche Entgeltsystem, bei dessen Änderung er mitzubestimmen habe. Auch im Hinblick auf seine Aufgabe, etwaige Benachteiligungen von Arbeitnehmern zu verhindern, beanspruche er Einblick in die nicht anonymisierten Bruttoentgeltlisten. Datenschutzrechtliche Gründe stünden dem nicht entgegen.

Die Listen müssten zumindest folgende Angaben enthalten:

  • Name, Vorname,
  • Tarifentgelt bzw. wenn ein solches nicht gezahlt wird, Grundentgelt,
  • Zulagen, Sondervergütungen, Gratifikationen und Prämien jeglicher Art unter Bezeichnung, wofür sie gezahlt werden.

Die Arbeitgeberin verweigerte dieses Ansinnen mit der Begründung, dass einer nicht anonymisierten Einsichtnahme Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer und datenschutzrechtliche Erwägungen entgegenstünden.

Sowohl das zuständige Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hatten dem Betriebsrat Recht gegeben. Diese Entscheidung wollte aber die Arbeitgeberin nicht akzeptieren, sodass der Streitfall das BAG beschäftigte. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Urteile der Vorinstanzen mit folgender Begründung: Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Der Betriebsrat kann allerdings nur Einsicht in Unterlagen verlangen, die der Arbeitgeber zumindest in Form einer elektronischen Datei tatsächlich besitzt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, nicht vorhandene Unterlagen erst zu erstellen; ein auf Herstellung nicht existenter Listen gerichteter Anspruch des Betriebsrats lässt sich nicht auf § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG stützen. Das Einsichtsrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG unterliegt zudem den Grenzen der allgemeinen Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG. Es besteht nur, soweit dies zur Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist.

Der für das Einblicksrecht in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG notwendige Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung dieses Einsichtsrechts bedarf es nicht. Der Betriebsrat benötigt die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob insoweit ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit existiert oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann. Ein Einsichtsrecht besteht deshalb auch dann, wenn der Betriebsrat gerade feststellen will, welche Arbeitnehmer Sonderzahlungen erhalten und wie hoch diese sind. Die Grenzen des Einsichtsrechts liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt.

Die erstrebte Einsicht in die bei der Arbeitgeberin vorhandenen Listen mit einer namentlichen Nennung der Arbeitnehmer als Bezieher des jeweiligen Bruttoentgelts verbietet sich auch nicht in Ansehung der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) und des durch das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -umsetzungsgesetz EU - DSAnpUG-EU) vom 30. Juni 2017 geänderten Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG).

Fundstelle:

https://dejure.org/ext/d96f4a53269ebcb1e11b2ec93fd90110