Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO
Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie „zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich [ist], sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt“.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nach dieser Bestimmung unter drei kumulativen Voraussetzungen rechtmäßig: Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von einem Dritten ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden, zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein, und drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten nicht überwiegen.
Was erstens die Voraussetzung der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DSGVO dem Verantwortlichen obliegt, einer betroffenen Person zu dem Zeitpunkt, zu dem personenbezogene Daten bei ihr erhoben werden, die verfolgten berechtigten Interessen mitzuteilen, wenn diese Verarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO beruht. In Ermangelung einer Definition des Begriffs „berechtigtes Interesse“ durch die DSGVO kann ein breites Spektrum von Interessen grundsätzlich als berechtigt gelten. Insbesondere ist dieser Begriff nicht auf gesetzlich verankerte und bestimmte Interessen beschränkt.
So geht aus dem 47. Erwägungsgrund der DSGVO hervor, dass ein solches Interesse beispielsweise vorliegen könnte, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehung zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen besteht, z. B. wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist.
Was zweitens die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zur Verwirklichung des wahrgenommenen berechtigten Interesses betrifft, ist zu prüfen, ob das berechtigte Interesse an der Verarbeitung der Daten nicht in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen, wobei eine solche Verarbeitung innerhalb der Grenzen dessen erfolgen muss, was zur Verwirklichung dieses berechtigten Interesses unbedingt notwendig ist.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung gemeinsam mit dem Grundsatz der Datenminimierung zu prüfen ist, der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO verankert ist und verlangt, dass personenbezogene Daten dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sind.
Was schließlich drittens die Voraussetzung betrifft, dass die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten nicht überwiegen, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass diese Voraussetzung eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen gebietet, die grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt, und dass es daher Sache des vorlegenden Gerichts ist, diese Abwägung unter Berücksichtigung dieser spezifischen Umstände vorzunehmen. Wie sich aus dem 47. Erwägungsgrund der DSGVO ergibt, können die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen insbesondere dann überwiegen, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer solchen Verarbeitung rechnet.
Somit ist bei Interessenabwägungen immer zu beurteilen, ob im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, um die es in der Sache geht, die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Fundstelle: Urteil des EuGH vom 9. Januar 2025 in der Rechtssache C-394/23 – abrufbar im Internet unter https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=294110&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=9195637